Teil 20 - Die Bescherung

Ach, Weihnachten. Fadrina mag diese Tage, an denen es immer nach Orangen, Kerzenrauch und Tannenzweigen duftet. Sie hat einige Tage frei und kann das Bussteuer Steuer sein lassen. Eine Woche vor Heiligabend kam Riet mit einer verschneiten Tanne über der Schulter in ihr Häuschen gestapft: „Da, direkt aus unserem Wald“, sagte er und seine Wangen glänzten vor Kälte und Freude. Fadrina holte ihren Baumschmuck vom Estrich, ein Erbe ihrer Grosseltern, die in diesem Häuschen unzählige Weihnachtsfeste gefeiert hatten. „Endlich friedliche Weihnachten“, sagte sie zufrieden, und suchte nach dem gelben Stern ihrer Nana als Dekoration für den Christbaumspitz. Fippo beobachtete das Geschehen träg, erhob sich mit einem Schütteln, schlurfte Richtung Baum und liess sich just darunter plumpsen. Fadrina lachte: „Du findest wirklich immer den besten Platz! Aber mir ist lieber, du bist hier und haust nicht wieder mit der Rhätischen Bahn ab.“ Mit einem Schaudern erinnert sie sich an die langen Monate, in denen Fippo vermisst wurde und sie kaum mehr daran glaubte, ihn je wieder streicheln zu können. Gut, waren diese Zeiten vorbei.

Ganz traute sie dem Frieden zwar noch nicht. Fippo ist immer gut für eine Überraschung. „Aber dieses Mal könntest du wenigstens Weihnachten und Neujahr abwarten“, flüsterte sie in seine Richtung und suchte die roten Kugeln hervor. Das leise Schnarchen ihres Streuners interpretierte Fadrina optimistisch als Zustimmung.

Es sind friedliche Weihnachten geworden. Also fast. Riet musste dreimal ausrücken – einmal wegen eines Fehlalarms, einmal wegen Diebstahl und einmal, weil jemand beinahe das Bahnhofshäuschen in Brand gesetzt hatte. Fippo hingegen döste während Stunden unter dem Weihnachtsbaum. Kaum verliess Fadrina mit ihm das Haus, verwandelte er sich in einen Draufgänger. „Bei Fuss!“ – pfff, völlig überflüssig. „Zu mir!“ – Hallo, war das Chinesisch? „Fippo, bleib!“ – Bleib? noch nie gehört.

Fadrina hechtete hinterher, wenn er Richtung Hügel sprintete, in der Hoffnung auf ein erneutes Rendez-vous mit seiner angebeteten Mopsdame Lulu. Und tatsächlich war ihm das Glück einige Male hold, selbst wenn Lulus Läufigkeit natürlich längst vorüber war. Anscheinend roch sie trotzdem betörend genug, dass Fippo ihren Duft mitten im Dorf witterte, obwohl seine grosse Liebe im Wäldchen auf dem Hügel spazierte. Kaum erblickten sie sich, flitzten sie los, Kopf an Kopf, schmissen sich danach in den Schnee, kugelten den kleinen Hang hinunter und schienen die beste Zeit ihres Lebens zu haben, während sich Lulus Besitzerin und Fadrina atemlos trafen.

„Immerhin ist sie nicht mehr läufig“, meinte Lulus Besitzerin.

„Immerhin!“, doppelte Fadrina nach.

Dann sagten sie nichts mehr und schauten schweigend dem verrückten Hundepaar nach, das sich schamlos miteinander vergnügte.

An Weihnachten war es mit den Dates plötzlich vorbei. Woran es lag? Fadrina hatte keine Ahnung. Möglicherweise war Lulus Besitzerin in die Ferien gereist und hatte den Mops mitgenommen. Es herrschte Funkstille. Bis zu jenem Abend zwischen den Jahren. Sie sitzen in der Stube mit Blick auf den Weihnachtsbaum und den dösenden Fippo. „So könnte das von mir aus immer sein“, murmelt Fadrina und lässt sich von Riet ein Glas Blauburgunder einschenken. „Von mir aus auch“, brummt Riet. „Aufregung hatten wir in diesem Jahr genug, oder?“, fragt er zwischen zwei Schlucken und deutet mit dem Kinn Richtung Fippo. „Vor allem mit dem da!“ – „Aber auch viel Lustiges!“ – Fadrina hebt ihr Weinglas. „Auf uns. Und Fippo! Viva!“ – Fippo blinzelt kurz. Dann kehrt wieder Stille ein.

Bis es ans Fenster klopft. Oh, schon wieder versehentlich ein Spatz ..., denkt Fadrina gerade, doch als sie zum Fenster schaut, verschluckt sie sich beinahe am Wein. Hinter der Glasscheibe ist kein Spatz. Auch keine Elster, kein Rabe und schon gar keine Eule. Dort linst ein Rentier in die Stube. Das Rentier ist schwarz und hat erstaunlich grosse Kulleraugen. Und weshalb ist sein Geweih rot?

Jetzt merkt auch Fippo trotz Tiefschlaf, dass da ein Besuch draussen ist. Und dass dieses Rentier sich nicht jagen lässt. Er springt hoch, stützt sich mit den Vorderpfoten am Fensterbrett ab und verzweifelt fast, als er dort seine Lulu erblickt. „Dass ein Hund so laut fiepen kann“, jammert Riet und hält sich die Ohren zu. Fadrina eilt schon zur Haustür, öffnet sie und wird von Fippo beinahe über den Haufen gerannt, so vehement stürzt er nach draussen und direkt auf das Rentierchen.

„Lulu! Hier!“, ist eine Frauenstimme zu hören. Schon steht die Halterin da. Sie keucht. „Ich habe wieder einmal eine Verfolgungsjagd durchs Dorf hinter mir“, erklärt sie und streckt Fadrina die Hand hin: „Wir könnten uns eigentlich auch einmal bekannt machen. Ich bin Rona!“

„Freut mich, Fadrina.“

„Vielleicht haben wir in Zukunft mehr miteinander zu tun.“

„Aber gerne. Die beiden verstehen sich ja blendend.“

„Nicht nur das.“

„Was noch?“ – Fadrina hält den Atem an.

„Sie werden Eltern.“

„Was?“

Rona nickt. „Zweifel ausgeschlossen. Ich komme gerade vom Tierarzt.“

„Und Fippo ist ganz bestimmt der Vater?“

Rona nickt wieder. „Mit grösster Sicherheit. Lulu hatte sonst keinen Kontakt mit Rüden. Aber wir können einen DNA-Test machen lassen.“

„Jetzt muss ich mich setzen. Komm doch rein!“

Ein Pfiff, und die Hundeeltern in spe jagen durchs Haus und schmeissen sich dann synchron auf den Teppich, dabei fällt Lulus Geweih zu Boden. „Ich brauche einen Röteli!“, ruft Riet und macht sich am Arvenschrank zu schaffen. Rona lässt sich in den roten Ohrensessel fallen und lacht ebenfalls: „Ich auch. Ich hätte mir eine kleine Hobbyzucht vorstellen können, aber was soll ich mit vier Mischlingen?“

„Ach, Mischlinge sind toll. Schau doch Fippo an“, bemerkt Fadrina und greift ebenfalls nach einem Likörglas. „Das gibt bestimmt eine hübsche Mischung. Viva!“

Nach der vierten Runde Schnaps werden die Zukunftspläne konkreter. Man würde gemeinsam nach Plätzen für die Hundekinder suchen. „Ich könnte auch eines behalten. Dann hat Fippo immer Gesellschaft“, überlegt sich Fadrina. „Stimmt. Das könnte ich auch!“, ruft Rona.  

Fippo und Lulu werfen sich in den nächsten Traum, als ginge sie dieses Thema gar nichts an.

„Ich habe auch schon den ersten Namen. Für einen Rüden.“, durchbricht Fadrina die Stille.

Rona, Riet, Fippo und Lulu heben synchron ihre Köpfe.

„Filu!“

 

Wie wird diese Familiengeschichte weitergehen? Die Fortsetzung lesen Sie wie immer hier ...

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